Das mondäne SL-Flair ist keineswegs mit den 60er-Jahren verblüht. Es lässt sich auch mit einem späten 300-SL-Roadster noch genussvoll erleben.
Ikone Pagode oder günstiger R 129?
1967 Mercedes Benz 280 Sl W113
Was macht einen Mercedes SL aus? Superleicht, wie es der Urbedeutung des Kürzels entspricht, war noch nicht einmal der Flügeltürer mit Alukarosserie. Superschnell trifft es auch nicht, da müht sich der Vierzylindertyp 190 SL mit seinen 170 km/h redlich ab. Das SLGefühl lässt sich schwer in Messwerte und Zahlen fassen, es wird emotional empfunden, und es hat mit Schönheit, Exklusivität und Temperament zu tun. Ein Mercedes SL ist das glamouröse Gegenstück zum frugalen 200 D, obwohl sie sich die Solidität, das Lenkrad und die Hinterachse seit jeher teilen.
Leider sind uns die klassischen Vollmetall-SL der 50er- und 60er-Jahre preislich längst davongaloppiert. Selbst die von 1963 bis 1971 in knapp 49 000 Exemplaren gebaute Pagode überrollt heute die 100 000- Euro-Schwelle, kompromisslose Neuaufbauten kosten gar das Doppelte. Es stellt sich die Frage, ob man nicht das erhabene, arrivierte SL-Gefühl auch in einem späten, heute noch modernen 300 SL der 129erBaureihe ähnlich erleben kann wie in der hochverehrten Ikone namens W 113. Keine Frage, dass die Pagode auch ohne das namenspendende konkave Coupédach eine bezaubernde und begehrenswerte Autoschönheit abgibt.
Man stellt sie auf ein gemeinsames Podest mit dem frühen Porsche 911 und dem Jaguar E-Type, sie ist in ihrem Stil genauso unverwechselbar und charismatisch wie die beiden zeitgenössischen Rivalen, die auch so um die 30 000 Mark gekostet haben. Äußere Form und Interieur sind auch die bezauberndsten Reize der Pagode. Da stimmt einfach alles, jede Lichtkante, jede in Blech gepresste Wölbung, auch der kleine kokette Hüftschwung vor der Hinterachse und die Frontscheibe mit leichtem Panorama-Akzent. Selbst der üppige Chrombehang wird einem beim Betrachten nicht zu viel.
Einzigartige Form, rustikaler Sechszylinder mit mechanischer Einspritzung, klassisches Interieur ohne Kunststoff
Innen begeistert das Ensemble aus dünnem Bakelit-Lenkrad mit Hupring und den beiden großen chromumrandeten Rundinstrumenten für Geschwindigkeit und Drehzahl. Auch der „neue“ R 129 vereint Eleganz mit einer geradezu skulpturenhaften ErDasscheinung. Leider hat der betont aerodynamisch und in völliger Chromenthaltsamkeit geformte Roadster keinen so schönen Spitznamen wie sein Vorgänger aus den 60erJahren. Er könnte aber treffend „Sacco-SL“ heißen, weil der jahrzehntelang den Stern prägende Chefdesigner Bruno Sacco ihn für seinen gelungensten Entwurf hält.
Natürlich ist der späte, deutlich breitere SL innen geräumiger als die Pagode, er teilt sich die üppige, fünf Rundinstrumente umfassende Instrumententafel mit der S-Klasse W 140, und er fährt sich selbst mit der kleinsten, 190 PS starken Sechszylinder-Motorisierung so leise, komfortabel und mühelos wie die große Limousine, die Vierstufenautomatik als Extra einmal vorausgesetzt.
1995 Mercedes Benz 300 Sl R 129
Der R 129 ist nahe am SL-Ideal
Solch gepflegte Manieren kann die Pagode nicht vorweisen. Ihr äußerlich femininer Charakter weicht hinter dem Lenkrad unerwartet kerniger Sportivität. Der für damalige Verhältnisse sehr leistungsfähige und drehfreudige Sechszylinder läuft rau und vernehmlich, allerdings mit angenehmem Auspuffklang, mal bassig sonor, mal frenetisch heiser. Das Drehzahlniveau ist hoch, 120 km/h entsprechen 4000/min, bei den USAutos ist meist die sehr kurze 4,08er-Hinterachse eingebaut, was auch in Verbindung mit der überwiegend georderten Viergangautomatik nicht gerade für geschmeidigen Antriebskomfort sorgt.
Komfort und Straßenlage sind beim 280 SL auf erfreulich hohem Niveau, die Eingelenk-Breitspur-Pendelachse mit korrigierender Ausgleichsfeder zeigt sich überraschend fahrstabil, auch die vier Scheibenbremsen packen entschlossen zu. Aber das ändert nichts daran, dass die zweite Folgegeneration, sprich der Sacco-SL, alles viel besser kann. In der technischen Entwicklung liegen 30 Jahre zwischen den beiden Roadstern, das sorgt für viel Direktheit und ursprüngliches Fahrvergnügen bei der Pagode und für geschmeidige Perfektion beim Sacco-SL. Die lässt sich noch steigern, wenn man zum SL 500 mit Viernockenwellen-V8 und 320 PS greift. Teuer ist selbst der nicht, aber dafür eben so richtig SL
Frontpartie mit typischem SL-Gesicht, Dreiliter-Sechszylinder M 103, limousinenhaftes Cockpit mit Integralsitzen
DATEN
MERCEDES-BENZ 280 SL, W 113 Eckdaten: Sechszylinder-Motor, ohc, 2778 cm3, 170 PS, 1390 kg, 195 km/h, 1967 bis 1971 Preis: 90 000 Euro (guter Zustand) Charakter: Die Form in lieblich verspielter Harmonie täuscht, die Pagode ist vor allem mit Schaltgetriebe ein kerniger Sportwagen
MERCEDES-BENZ 300 SL, R 129 Eckdaten: Sechszylinder-Motor, ohc, 2960 cm3, 190 PS, 1780 kg, 230 km/h, 1988 bis 2001 Preis: 15 000 Euro (guter Zustand) Charakter: Vor allem in seiner mildesten Motorisierung ist der R 129 ein gediegenes Komfort-Cabriolet im Avantgarde-Design