So cool fährt die Avantgarde Citroën DS & Lancia Flaminia Für die moderne Familie Wer in den 60ern eine große Limousine mit neuester Technik suchte, der wurde bei Citroën und Lancia fündig. Zwei völlig verschiedene Designideen standen zur Wahl.
TEXT Franz-Peter Hudek // FOTOS Ingolf Pompe Gut zu Wissen
LANCIA FLAMINIA BERLINA
Eckdaten: V6-Motor, OHV, 2458 cm3, 102 PS, 1430 kg, 160 km/h, 1957 bis 1970 Preis: 34 000 Euro (guter Zustand) Charakter: Repräsentative Limousine mit komplexem Transaxle-Antrieb. Sehr solide, sehr komfortabel, gern im Vatikan gefahren
CITROËN DS 21 PALLAS
Eckdaten: Vierzyl.-Motor, OHV, 2175 cm3, 100 PS, 1280 kg, 175 km/h, 1956 bis 1975 Preis: 31 000 Euro (guter Zustand) Charakter: Der wohl bekannteste Klassiker aus Frankreich: einzigartig, detailbesessen, futuristisch, komfortabel und kapriziös
Ist das überhaupt ein Auto? Oder vielleicht ein Raumschiff aus den Perry-Rhodan-Romanen? Wer zum ersten Mal in einem Citroën DS hinter dem Lenkrad sitzt, der stellt sich diese Frage. Fast nichts erinnert hier an ein Automobil von 1966, nicht einmal das Lenkrad, dessen einzige Speiche wie die Zunge eines Reptils aus einer ovalen Mundöffnung ragt. Nur eine Speiche! Wie soll das denn halten?
Und es ist extrem hell hier drin. Der Grund: Die hohe, fast kreisrund gebogene Windschutzscheibe scheint nahtlos in die Seitenscheiben überzugehen, als gäbe es keine Dachpfosten. So entsteht ein perfekter Rundumblick. Dass man das vordere Ende des großen Citroën nicht sieht, ist kein Handicap. Wir müssen ja nicht irgendwelchen holperigen Asphaltbändern folgen, sondern schweben auf unseren bequemen Salonsesseln einfach durchs Universum. Auch das helle, dynamisch gestaltete Armaturenbrett mit einem in feinem Wellblech eingebetteten Bandtacho und diversen verchromten Drehreglern signalisiert dem DS-Novizen: Das ist kein normales Auto!
Kühle Zurückhaltung im Lancia Ganz anders der Lancia Flaminia Berlina, dessen Innenraum sich am traditionellen sportlich angehauchten Automobil gegen Ende der 50er-Jahre orientiert: klassisches Zweispeichenlenkrad mit halbrundem Hupring, Lenkradschaltung und zwei große Rundinstrumente für Tempo und Motordrehzahl.
Keine Experimente, nur ein paar kleine Eigenarten wie die Anzeigen für Öldruck und Öltemperatur, Tankinhalt sowie Kühlwassertemperatur, die innerhalb der runden, bis 180 km/h zählenden Tachometerskala den Fahrer informieren. Oder ein quer unter dem Armaturenbrett verlegter massiver Handbremshebel, der wie ein griffbereiter Schlagstock wirkt.
Die Sitzposition ist ähnlich hoch wie im Citroën. Allerdings überblickt der Lancia- Fahrer fast ein Drittel seines eigenen herrlichen Automobils: die beiden weit nach vorne gezogenen Kotflügel sowie die dominante, nur schwach abfallende Motorhaube mit der breiten Lufthutze. Überhaupt unternimmt der aristokratisch auftretende Italiener keinen Versuch, seine imposante Länge von 4,85 Metern zu verstecken. Sowohl die riesige nach vorne gewölbte Kühleröffnung wie auch die weit über den Kofferraumdeckel hinausragenden Heckflossen lassen den majestätischen Lancia noch größer erscheinen. Die Flaminia ist zweifellos ein repräsentatives Automobil.
Die Göttin aus dem Weltall
Die DS dagegen, deren Name im Französischen wie „déesse“ – „Göttin“ – ausgesprochen wird, erinnert auch außen an ein Raumschiff, das zur Landung die Räder ausgefahren hat. Ihr langer Radstand von deutlich über drei Metern und die kompakte Grundform mit spitz zulaufender, fast kühlerloser Motorhaube und schräg gestelltem Miniheck lassen die große Frontantriebs-Limousine kompakt erscheinen. Mit 4,84 Metern Länge ist der Citroën jedoch nur einen Zentimeter kürzer als der mächtige Lancia mit seinem dekorativen Flossenschmuck.
Wer also Anfang der 60er für seine Familie oder andere repräsentative Personentransporte eine Alternative zu einem Mercedes 220 S suchte, der konnte zwischen diesen beiden extremen Modellen wählen. Allerdings sollte der autobegeisterte Familienvater einem einträglichen Beruf nachge-hen, denn die beiden Import-Limousinen waren nicht billig. Den 220 S mit 110 PS gab es für 13 200 Mark, während Citroën für den hier gezeigten DS 21 Pallas 14 300 und Lancia für den Flaminia Berlina sogar stramme 22 500 Mark aufrief.
Dafür erhielt man auch modernste Technik und eine exquisite Ausstattung. Beim 1957 eingeführten Lancia einen V6- Motor aus Leichtmetall mit zunächst 2,5 Litern Hubraum und 102 PS, ab Ende 1962 mit 2,8 Litern Hubraum und 129 PS. Das Getriebe und Differenzial bilden mit der DeDion-Hinterachse und innenliegenden Bremsen eine Einheit. Zur Luxusausstattung zählen am Anfang auch Heckscheibenwischer und die vom Fahrer aus per Druckluft zu öffnenden kleinen Seitenfenster. Die Verarbeitung der Karosserie ist tadellos und befindet sich auf Rolls-Royce-Niveau.
Noch mehr moderne Technik bietet der 1955 vorgestellte Citroën DS: Die Hydropneumatik, ein kompliziertes Hochdruckfederungssystem, ersetzt die Stahlfederung und sorgt für eine gleich bleibende, in drei Stufen einstellbare Bodenfreiheit. Außerdem nivelliert sie die Roll- und Stampfbewegungen in Kurven und beim Bremsen.
Auch das Bremssystem und die auf Wunsch lieferbare Halbautomatik arbeiten jeweils mit einem für die DS-Baureihe entwickelten Hochdrucksystem. Deshalb gibt es kein Bremspedal, sondern nur einen Gummiknopf, auf den man gefühlvoll treten sollte, um eine Vollbremsung zu vermeiden.
Unser DS-21-Pallas-Fotomodell verstärkt mit seinen roten Stoffpolstern und Türverkleidungen den Raumschiffcharakter des Interieurs. Seine Topausstattung umfasst innen größere Sitze, Fondaschen becher und Chromtürgriffe, außen Zusatzscheinwerfer, Gummistoßstangenhörner, Zierleisten, Metallic- Lack und mehr. Das unrestaurierte Topexemplar mit frisch überholter Technik und neuen Verschleißteilen stellte uns der Citroën-Spezialist Dirk Sassen in Düsseldorf zur Verfügung. Die DS 21 Pallas in Gris Palladium von 1966 steht dort zum Verkauf, Kontakt in der Kaufberatung.
DS mit abnehmbaren Kotflügeln
Zu den vielen Eigenarten der DS zählen die mit nur einer Schraube befestigten hinteren Kotflügel, die man für einen Radwechsel entfernen muss. Und eine Viergang-Halbautomatik ohne Kupplungspedal, deren Wählhebel oberhalb des Lenkrads angebracht ist.
Zum Starten des 100 PS starken Vierzylinders drücken wir den Wählhebel in seiner Neutral- Position nach oben. Der erste Gang rastet mit einem leichten Karosserieschütteln ein, und mit wenig Gas fahren wir los – nein: heben wir ab! Tatsächlich scheint die DS fast kontaktlos über den Asphalt zu schweben und lässt sich mit dem fragil wirkenden Lenkrad völlig mühelos und mit geringem Kraftaufwand durch den Verkehr dirigieren. Der Lancia dagegen ruft nach dem Kraftfahrer alter Schule: Die massive, passgenau gearbeitete Tür und die aberwitzige Lenkradschaltung, deren Gestänge bis zum Getriebe an der Hinterachse reicht, benötigen etwas Nachdruck in der Handhabung.
Beim Fahren erweist sich der schwere Wagen jedoch als erstaunlich handlich. Auch ohne Servolenkung zieht der Lancia dank optimaler Gewichtsverteilung zügig und fast widerstandslos durch schnell gefahrene Kurven. Der druckvoll, leise und vibrationsarm arbeitende VR6-Motor trägt ebenso zu einem gehobenen Fahrgenuss bei. Welchen soll man nehmen? Strenger Klassizismus oder mutige Avantgarde? Kaum zu glauben: Damals entschieden sich beinahe 1,5 Millionen Käufer (alle Citroën- D-Modelle) für die Avantgarde und nur 3943 für den teuren Klassizismus.
Fazit
Kommt Ihnen die Flaminia-Limousine auch bekannt vor? Klar doch. Ihr Trapezstil prägte die Autos der 60er. Die großen Limousinen von Austin, Fiat, Peugeot und anderen übernahmen diese epochale Pininfarina-Optik. Von der DS gibt es dagegen keine Designableger. Dafür noch viele fahrtüchtige Klassiker, die uns immer wieder in Staunen versetzen. Franz-Peter Hudek
Citroën DS
KAROSSERIE-CHECK
■ Zwischen Tank und Kofferraum sitzen am Wagenboden die kastenförmigen Aufnahmen der hinteren Schwingenlager. Ist der Citroën DS hier durchgerostet, dann ist meistens das ganze Auto zerstört. Durch die rahmenlosen Seitenscheiben tritt oft Wasser ins Auto und ruiniert Sitze und Verkleidungen. Dringt es am Dach ein, greift es neben dem Wagenboden auch die C-Säule an. Weil die hinteren Kotflügel nur mit je einer Schraube befestigt sind, lohnt es sich, sie abzunehmen und den Zustand der C-Säule zu prüfen. Ebenfalls checken: äußere Kastenprofile des Rahmens, Türböden, Kotflügel, Kofferraumboden und das Blech unter dem Chromschmuck der Pallas-Modelle.
TECHNIK-CHECK
■ Mit dem Wechsel auf die grüne LHM-Hydraulikflüssigkeit ab 1966 verbesserte sich die Zuverlässigkeit der Hydropneumatik erheblich. Bei gut gewarteten Modellen genügt es meist, die Federkugeln etwa alle 100 000 Kilometer zu wechseln. Bei weniger gepflegten DS kommen durch Korrosion oder durch undichte Verbindungen auch Lecks in dem 34 Meter langen Hydrauliksystem vor. Standfest sind alle Motoren – auch die frühen Langhuber mit nur drei Kurbelwellenlagern. Die DS 23 (speziell IE) kann schon bei knapp 200 000 Kilometern Lagerprobleme bekommen. Die Halbautomatik sollte vom Fachmann justiert sein.
PREISE
Bei Einführung 1965 (Citroën DS 21) …………………………………13 200 Mark
Classic-Analytics-Preis 2019 (Zustand 2/4) ……………….. 31 000 / 8500 Euro
Versicherung (Haftpflicht/Vollkasko)* ……………………… 61,64 / 187,43 Euro
ERSATZTEILE
■ Nicht nur wegen der zuverlässigeren Technik empfiehlt sich eine späte DS-, ID- oder D-Variante. Ab Baujahr 1967 findet sich nämlich fast jedes Ersatzteil – und das problemloser als für frühe Versionen. Diese zeichnen sich außerdem durch viele Varianten aus, die authentische typgerechte Restaurierungen oder Reparaturen erschweren.
CLUBS UND SPEZIALISTEN
DS-Club Deutschland e. V., Wermertshäuser Straße 9, 35085 Ebsdorfergrund, Tel. 064 07/902 30, [email protected], www.ds-club.de DS Sassen GmbH & Co. KG (Import, Teile, Reparaturen), Benrodestraße 61, 40597 Düsseldorf, Tel. 02 11/711 87 02, www.ds-sassen.de Autohaus Schneider, Rosenfelder Straße 5, 72351 Geislingen, Tel. 074 33/85 08, www.fahrzeuge-schneider.de
SCHWACHPUNKTE
1 Aufnahmen Schwingenlager
2 hintere Quertraverse
3 undichtes Dach und Scheiben
4 A- und C-Säulen
5 Türböden und Schweller
6 Rahmenausleger
7 verbrauchte Federkugeln
8 undichte Hydraulikleitungen
9 Lagerschaden Motor (DS 23)
10 BorgWarner-Vollautomatik
Alltagstauglichkeit •••••
Ersatzteillage •••••
Reparaturfreundlichkeit •••••
Unterhaltskosten •••••
Verfügbarkeit •••••
Nachfrage •••••
Lancia Flaminia Berlina
Unter der repräsentativen Karosserie steckt moderne Antriebstechnik, die nach einem Spezialisten verlangt. Gute Exemplare sind deshalb rar.
KAROSSERIE-CHECK
■ Rostschutz war damals in Italien wie auch in Frankreich ein Fremdwort – für die große Lancia-Flaminia-Limousine oft mit verheerenden Folgen. Hierfür verantwortlich sind zahlreiche Kastenprofile, deren geschlossene Hohlräume sich kaum untersuchen lassen und auch keine Konservierungsmittel enthalten. Das nackte Blech erhielt nur von unten eine Schicht Unterbodenschutz. Oft entwickelte sich auch feucht gewordenes Dämmmaterial im Fondbereich zu lästigen Rostnestern. Als Problemzonen des Lancia Flaminia kommen noch hinzu: Lampentöpfe, Kotflügel im Bereich der A-Säule, Schweller, Seitenteile und der gesamte Heckbereich mit Kofferraumboden und Endspitzen.
TECHNIK-CHECK
■ Richtig gewartet, macht der V6-Motor kaum Probleme. Allerdings gibt es ein paar Eigenheiten. So kann ein defektes Novotex-Rad des Drehzahlmesserantriebs die Nockenwelle blockieren. Korrosionsrückstände des Motorengehäuses aus Silumin (Aluminium-Silizium-Druckgusslegierung) verstopfen eventuell die Wasserkanäle, was zu durchgebrannten Zylinderkopfdichtungen führt. Die Transaxle-Getriebeeinheit mit DeDion-Hinterachse erfordert durch die innenliegenden Bremsen und Antriebswellen viel Serviceaufwand. Das Schaltgetriebe hat eine eigene Ölpumpe, deren Ausfall Schäden verursacht.
PREISE
Bei Einführung 1957 (Lancia Flaminia Berlina) ………………….22 500 Mark
Classic-Analytics-Preis 2019 (Zustand 2/4) ………………34 000 / 10 000 Euro
Versicherung (Haftpflicht/Vollkasko)* ………………………51,64 / 192,33 Euro
ERSATZTEILE
■ Wegen der relativ großen Stückzahlen an Flaminia-Coupés von Pininfarina, Touring (auch Cabrios) und Zagato – insgesamt 8700 Einheiten – sind Technik- und Verschleißteile lieferbar. Schwieriger wird es bei Karosserie- und vor allem Interieurkomponenten der seltenen Berlina, die oft als Teilespender für die Sportmodelle diente.
CLUBS UND SPEZIALISTEN
Lancia Club Deutschland e. V., Sekretariat: Sanddornweg 5, 53757 Sankt Augustin, www.lanciaclubdeutschland.de Lancia Club Vincenzo, Im Nußbaumboden 7, 79379 Müllheim, Tel. 076 31/79 98 21, www.lancia-club-vincenzo.com B & F Touring Garage, Hauptstraße 183, 53842 Troisdorf-Spich, Tel. 022 41/84 49 10
SCHWACHPUNKTE
1 Kotflügel mit Lampengehäuse
2 A-Säule
3 Schweller
4 Längsträger Unterboden
5 Seitenteile
6 Kofferraumboden, Endspitzen
7 Kopfdichtungen
8 Antriebswellen
9 Bremsenmontage hinten
10 Getriebe (Lager, undicht)
Alltagstauglichkeit •••••
Ersatzteillage •••••
Reparaturfreundlichkeit •••••
Unterhaltskosten •••••
Verfügbarkeit •••••
Nachfrage •••••